Im Limmattal getroffen

Folgende Porträts sind im
Limmattaler Tagblatt erschienen:
Dalibor Brazda

Dietiker Kulturpreisträger Dalibor Brazda gestorben

Dalibor Brazda hat die Stadtjugendmusik zum Erfolg gebracht. Er war der begabteste, eigenwilligste Dirigent, der bislang in Dietikon gewirkt hat. Er kannte das Corps wie niemand sonst und schrieb "seinen Kindern" die Erfolgsstücke sozusagen auf den Leib.

Helen Busslinger-Simmen
Dalibor Brazda, der seit drei Jahren im Pflegezentrum des Spitals Limmattals weilte und hier fast bis zu seinem Tod komponieren und arrangieren konnte, ist am 17. August 2005 im Spital gestorben. Dass er zum Ehrendirgenten der Stadtjugendmusik und der Stadtmusik Dietikon ernannt worden war und 2004 den 1. Dietiker Kulturpreis erhielt, hat seinen guten Grund: Brazda war ein geschätzter Komponist und Arrangeur, der die internationale Musikszene nachhaltig beeinflusst hat. Berühmt waren seine Arrangements für die DRS Big Band, für die Orchester Max Greger, Ambros Selos und Hugo Strasser. Bis zuletzt war er der musikalische Vater des „Trio festivo“.

Der Verstorbene wurde am 9. September 1921 in Frystak/Mähren geboren. In den 40er Jahren schloss er das Studium an der Musikakademie in Prag ab, war als Fagottist tätig und wurde Orchesterdirigent. Er wirkte in Wien und Hamburg und spielte mit seinem Studioorchester berühmte Werke auf Tonträger ein. 1969 emigrierte er aus der Tschechoslowakei in die Schweiz und fand in Dietikon eine neue Heimat. Von 1972 bis 1987 leitete er die Stadtmusik Dietikon, von 1972 bis1997 die Stadtjugendmusik. 1985 erhielt er das Bürgerrecht, das ihm viel bedeutete.

Brazda hat ungezählte Jugendliche ausgebildet, - er nannte sie „meine Kinder“. Sein Leben war Musik, er hatte Musik im Blut, deshalb fiel es ihm leicht, sein „feu sacré“ weiterzugeben. Beeindruckend war seine Bescheidenheit. Wenige wussten, dass er vor allem als Arrangeur international bekannt war und mit Musikern aus aller Welt Kontakt pflegte.

Als Brazda in Dietikon wirkte, wollten ihn berühmte Orchester weglocken, denn er war ein begabter musikalischer Grenzgänger, der sich in allen Stilrichtungen zuhause fühlte. Wie viele Werke er arrangiert und komponiert hat, wusste er selber nicht - er war einfach ununterbrochen tätig. In Dietikon war man immer schon zu Recht stolz auf Brazda und seine Erfolge; unvergesslich ist der typische runde und volle „Brazda-Sound“. Seine Musik wird weiterleben.

Dalibor Brazda auf der Pflegestation an der Arbeit

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Als Daniel Schneider, der Dietiker Klarinettist vom Trio Festivo, das Zimmer von Dalibor Brazda betritt, kommt er ihm strahlend entgegen und umarmt ihn mit der ihm eigenen Herzlichkeit. Man sieht es auf den ersten Blick: Die beiden haben einen Draht zueinander. „Gut, dass du kommst, schliesslich bin ich dein musikalischer Vater“, lacht Brazda. Schneider packt sofort Tippex und Tintenkiller aus: „Damit du beim Arrangieren und Komponieren das korrigieren kannst, was du verändern willst.“

Eine musikalische Freundschaft

Rasch sind der alte und der junge Musikbesessene in angeregtem Gespräch, sie tauschen Musikerwitze aus, lachen zusammen und foppen einander. Schneider zu Brazda: „Wer hat das Rezept für den typischen, volltönenden Brazda-Sound?“ Der Ältere kontert: „Du warst ja in der Stadtjugendmusik ein echter Schlingel.“ Beide erzählen von den Zeiten, als die Stadtjugendmusik Dietikon an grossen Festivals teilnahm und man vor Konzerten kaum Billette erhielt.

Unvergesslich der Spass, als Schneider den Ausspruch von Brazda: „Die letzte Note vor dem Bogen ist kurz“ auf ein Plakat schrieb und im richtigen Moment in die Höhe hielt. Er hatte die Lacher auf seiner Seite, jeder Knirps im Corps kannte den stets wiederkehrenden Satz des Dirigenten. Brazda nannte die Corpsmitglieder „seine Kinder“, nicht wenige machten eine musikalische Karriere. „Du bist einer meiner Begabtesten“, sagt Brazda zu Schneider. Er kennt die Namen, weiss sogar, wer mit wem verheiratet ist, die Glanzzeiten der Stadtjugendmusik Dietikon bleiben in seinem Gedächtnis.

Kostbarer Arbeitsplatz

„Hier in der Pflegeabteilung, an meinem Platz am Fenster, mit den Noten, den CDs, die ich mit dem Kopfhörer höre, fühle ich mich wohl“, sagt Brazda. Er braucht nicht viel Platz, die Melodica benützt er zum Komponieren und Arrangieren, Notenpapier liegt bereit. In feinster Schrift platziert der Musiker seine Arrangements. „Die Mädchen, so nenne ich die Pflegerinnen, behandeln mich wie eigene Kinder“, schmunzelt Brazda und erkundigt sich nach seiner Lieblingspflegerin, die er vermisst.

„Ich arbeite immer, wenn ich Lust habe“, sagt Brazda und erinnert sich daran, dass er vor einem Jahr grosse gesundheitliche Probleme hatte: „Nichts freute mich mehr, gar nichts, ich wollte auch keinen Ton mehr hören.“ Man habe ihn sanft zum Essen gezwungen, so lange, bis er wieder zu Kräften kam. Seinen Humor hat er sofort wieder gefunden, als er komponieren und arrangieren konnte.

Unterstützt seit Kindsbeinen

„Brazda hat mich seit Kindsbeinen begleitet“, sagt Schneider, „bei einer Musikerkarriere weiss man nie, wie das herauskommt. Niemandem fällt der Erfolg in den Schoss.“ Nicht zuletzt dank Brazdas Unterstützung hat Schneider am Konservatorium Lehr-, Konzert- und Solistendiplom erworben und in den USA und Wien studiert. Brazda: „Dein ausgezeichnetes Grundstudium ermöglicht dir vieles.“ Heute wird in er Presse mit Lob überschüttet. „Ich weiss immer, was er spielt und wo er ist“, freut sich Brazda.

Schneider erzählt: „Wir haben im gleichen Block gewohnt, nachts sah ich sein Fenster erleuchtet und wusste, er ist an der Arbeit.“ Heute schreibt Brazda dem Trio Festivo Stücke auf den Leib, er weiss genau, was der einzelne kann, so wie er schon früher genau wusste, wer in seinem Corps etwas konnte. Brazda: „Mich freut es, dass das Trio Festivo sozusagen grenzenlos spielt, also sowohl Kammermusik wie Jazz-Standards und Welthits. Ich war auch immer ein Grenzgänger.“

Der alte Mann und die Musik

Wenn das Trio Festivo auftritt, erwähnt Schneider oft den „vierten im Bunde“, Brazda, der alles auf eine Weise arrangiert hat, dass es einmalig klingt. Brazda wird gebraucht. So kommt es, dass er sich zwar über Besuche freut, oft aber nicht lange plaudern will, - es zieht ihn wie mit sieben Stricken an den Komponier-Tisch zurück. Er hat noch viel vor.

Gerade vollendet hat Brazda ein Klezmerstück, das er stolz seinem jungen Freund überreicht. Er will wissen, wie es mit dem neuen Trio-Festivo-Projekt „Noten in Nöten“ läuft, eine Tragikkomödie, die der Schriftsteller Peter Zeindler verfasst hat und vom Trio Festivo musikalisch umgesetzt wird. Wie man sieht, halten die Musikfreunde Brazda die Treue. Wer hat schon einen Zuhörer, für den Musik schlicht das Leben bedeutet.