Wo die Liebe hinfällt

Folgende Porträts sind im
Limmattaler Tagblatt erschienen:
Gegensätze ziehen sich an: Ehepaar Baier

Gegensätze ziehen sich an

Eine Liebesgeschichte

Helen Busslinger-Simmen
Vor langer Zeit, irgendwann im Mesozoikum, so gegen Ende Jura Anfang Kreide, oder war es im Mittelalter ...nein ..ach ja genau in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts trafen wir uns an der Scuola Dmitri - beide ein Ziel vor Augen, die Schauspielerei. Tag für Tag hartes Training. Akrobatik gehört zu den Schwerpunkten. Schweissgebadet trainiere ich mit Partnerin Luisa noch einmal ein akrobatisches Flugelement. Da passiert es. Sie fliegt, stürzt ab, ich kann sie nicht fangen. Nach der verletzungsbedingten Pause fehlt das Vertrauen um gemeinsam weiter zu arbeiten. Ich stehe da ohne Partnerin.

Jetzt kommt Amor in Gestalt unseres Akrobatik-Lehrers zum Zuge. Mit seinem ungarischen Dialekt fragt er: „Heidi, wie schwer bist du?’“ Zögerlich die Antwort: „52 Kilo.“ „Stefan, wie schwer bist du?“ Verwundert die Antwort: „82 Kilo.“„Das ist perfekt, ihr seid Partner!“ Das Leben hält sehr unkomplizierte Varianten des Kennenlernens bereit. Wie und wann aus der täglichen gemeinsamen Auseinandersetzung mit unserem ersten Kind, der Theaterarbeit, Liebe wurde, können wir nicht genau evaluieren, ein fliessender Übergang.

Ein gemeinsames Engagement in der Tanztheatertruppe „flexibelle“ führte uns nach Zürich und von da aus auf Tourneen rund um die Welt. Das war wahrlich „s’Füfi, s’Weggli und s’Chnörzli.“ Die Zeit verflog allzu schnell, ein Projekt reihte sich ans andere. Längst haben wir gelernt, die Differenzen im Arbeitsalltag von den Konflikten im Freizeitalltag zu trennen. Längst sind wir uns sicher: Wir leben eine Partnerschaft, die hält, was sie verspricht. Beide Sprichworte treffen zu. „Gleich und Gleich gesellt sich gerne“, oder „Gegensätze ziehen sich an“.

Längst haben wir herausgefunden, dass unsere Grossmütter die einzigen Frauen in einer Männer dominierten Theatergruppe waren. Längst haben wir an der stolzen Tanne mit den letzten Überresten eines Baumlagers vorbeigeschaut, von wo ER Tannzapfen auf ein kleines verwundertes, ein bisschen ängstliches Mädchen, mit langen blonden Zöpfen und grossen blauen Augen mit Namen „Heidi“, geworfen hat. Um ein bisschen Romantik in unsere Liebesgeschichte zu verpacken, stellen wir uns einfach ab und zu vor, dass sich unsere Blicke bereits bei der grossen Tanne gekreuzt haben. Ohne ein Wort zu sagen war uns damals klar: Wir treffen uns wieder. Irgendwo, irgendwann.

Reiche Jahre verflogen in Windeseile und plötzlich standen wir vor dem vierzigsten Lebensjahr. Zeit auf die Bremse zu stehen, bei einem guten Essen nachzudenken. Da fehlt doch irgendetwas in unserem Leben. Denkpause. Höchste Zeit für ein Projekt mit Hand und Fuss. „Warten auf Godot?“ Beim Einkaufen treffen wir auf eine Mutter mit ihrem vierjährigen Mädchen. „Mama,“ fragt die Kleine, „het die Frau ä Ball im Buch?“ Wir lachen beide herzlich und antworten im Chor: „Nein, wir warten auf Godot und er kommt bald, sehr bald.“ Jetzt sind wir ein Quartett. Stöck Wies Stich. Bingo!

Stefan Baier und Heidi Christen, Dietikon