Ürner Tytsch (Urner Deutsch)

Folgende Urner Ausdrücke
sind in der Neuen Urner
Zeitung erschienen:

«Tribuliärig»

Helen Busslinger-Simmen
Dass Jaar will ich a dä Wiänachtä kei Tribuliärig», sagte eine Urner Familienfrau. Mit «Tribuliärig» meint sie Plage. Sie hoffe, die Feier gehe in Ruhe vonstatten, mit Kindern und Grosseltern, gemeinsamem Gesang, mit lauter zufriedenen Gesichtern. «Das bringet miär z’stand», erklärte sie. Sie verspüre den Wunsch nach einem perfekten Weihnachtsfest.

Was wir oft vergessen: An der ersten Weihnacht überhaupt war gar nichts perfekt. Es gab «Tribuliärigä» in Fülle: Eine schwangere Frau, die kein Lager findet, um ihr Kind zu gebären, der werdende Vater ist ratlos, die angefragten Wirte zeigen sich erbarmungslos. Schliesslich gibt es als Zuflucht eine Art Höhle, eine einfache Futterkrippe als Wiege, sonst keinen Komfort irgendwelcher Art, nur einige Tiere, die etwas Wärme spenden. Es ist durchaus möglich, dass die jungen Eltern alles «Uggrymti» (Unpassende) vergassen, als sie ihr Kind in den Armen hielten.

Obdachlose Schäfer (Hirten), raue, oft verachtete Gesellen, kamen mit ihren Tieren zu Besuch und sprachen aufgeregt von einem Stern, von Engelsgesang und einem Retter, der in einer Krippe liege. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Weihnachtsnacht mit immer mehr Romantik versehen, sie wurde verklärt. Der Evangelist Lukas schrieb in wunderbaren Bildern von der Geburt eines Kindes in einer ­Futterkrippe.

Die Geschichte ist einzigartig, weil sie alles enthält, was uns heute noch beschäftigt: Armut, «verroschteti» (sture) Reiche, Ausgestossene, Leute, die sich mit Wenigem zufriedengeben müssen, überraschende Hoffnungszeichen (Engelsgesang). Wer also an Weihnachten diese und jene «Tribuliärig» und Unstimmigkeit erlebt, befindet sich in bester Gesellschaft. Sie erleben Weihnachten live.