Uri von aussen gesehen

Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:

Sven Allenbach

«Die Drei-Männer-Szene ist einer der Höhepunkte»

Der Regisseur der Tell-Freilichtspiele Interlaken sieht Altdorf nicht als Konkurrenz. Im Gegenteil: Er lobt das freundschaftliche Verhältnis.

Helen Busslinger-Simmen
Der Sommer 2012 bringt gleich zwei Tell-Jubiläen: 500 Jahre Tellspiele Altdorf und 100 Jahre Tell-Freilichtspiele Interlaken. Bei der Inszenierung im Nachbarkanton schlüpfen Einheimische in die Rollen des unterdrückten Berg­völkleins. Auch Regisseur Sven Allenbach stammt aus ihren Reihen. Er kennt die Stärken und Eigenheiten «seiner Eidgenossen und Habsburger». Sven Allenbach lässt viel Volk, Tierherden und Pferde auftreten. Er betont im Interview, dass zwischen den Inszenierungen in Altdorf und Interlaken grosse Unterschiede bestehen.

Bei den Tellspielen in Interlaken tritt zuerst Tell als alter Mann auf. Was hat es damit auf sich?

Sven Allenbach: Die «wilden Zeiten» sind vorbei. Tell erinnert sich an die Ereignisse, die sein Leben und dasjenige des ganzen Landes in den Grundfesten erschüttert und verändert haben. Der «alte» Tell ist die Erzählfigur, die durch das Stück von Friedrich Schiller führt. Vor seinem geistigen Auge spielen sich die dramatischen Ereignisse, die zum Sturz der ­Tyrannei geführt haben, noch einmal ab. Bei der Rückkehr von Tell zu seiner Familie kommt eine Figur hinzu, der Friedrich Schiller sehr viel Bedeutung zugeordnet hat: Johannes Parricida. Der Kaisermörder ist auf der Flucht und trifft auf Tell, als dieser von seiner Mordtat in der Hohlen Gasse nach Hause zurückkehrt.

Welches sind die grössten Unterschiede zwischen den Tellspielen in Interlaken und Altdorf?

Allenbach: Der grösste Unterschied besteht darin, dass in Altdorf im Theater Uri gespielt wird und in Interlaken unter freiem Himmel. Wir haben Tiere auf der Bühne, Pferde, Kühe und Ziegen. Das wäre im Theater Uri wohl etwas schwierig. Dann haben wir fixe Bauten, die ein Dorf aus dem Mittelalter bilden, dies gilt es bei einer Neuinszenierung immer miteinzubeziehen. Grundsätzlich gilt eigentlich: Was auf der Bühne in Altdorf funktioniert, das ist in Interlaken nicht 1:1 umsetzbar – und umgekehrt. So hat es zwischen den Tellspielen Altdorf und Interlaken auch nie ein Konkurrenzdenken gegeben.

Welchen Eindruck hatten Sie von der letzten Inszenierung des Altdorfer «Wilhelm Tell» durch Volker Hesse?

Allenbach: Ich war sehr beeindruckt! Und zwar einerseits von der Umsetzung her mit der 40 Meter langen Bühne – der Zuschauer sass mitten im Geschehen –, anderseits aber auch von der schauspielerischen Leistung der Darsteller. Sie wirkten ausdrucksstark, kraftvoll und unheimlich diszipliniert. Dazu gab es geniale Überraschungsmomente im Spiel. Ich denke da etwa an den Auftritt des Freiherrn von Attinghausen, der im Rollstuhl mitten aus dem Publikum herausgerissen wird. Ich habe die Inszenierung gleich zweimal besucht, weil ich dermassen begeistert war.

Was ist für Sie bei der diesjährigen Inszenierung in Interlaken das Wichtigste?

Allenbach: Authentizität, zum einen vom Text her, der sich ganz klar auf die Originalfassung von Schiller stützt, zum andern von der Darstellung her. Die Bühne wird in der ganzen Breite und Tiefe genutzt. Neben dem grossen Gesamtbild auf unserer Freilichtbühne entstehen so viele kleine Bilder, die das Leben in einem mittelalterlichen Dorf darstellen. Die Zuschauer sollen in eine vergangene Zeit zurückversetzt werden. Wir zeigen zwar eine Geschichte, die wir alle kennen, und doch soll sie überraschen und unterhalten. Die vielen kleinen lautlosen Randgeschichten und Begebenheiten, die man oft erst beim zweiten Hinsehen wahrnimmt, sind mir wichtig. Diese Liebe zum Detail möchte ich zusammen mit meinen Schauspielern pflegen.

Haben Sie Kontakte zum Vorstand der Tellspiele in Altdorf?

Allenbach: Mindestens einmal pro Jahr kommt ein Gedankenaustausch zu Stande, sei es an unserer Premiere, an der Hauptversammlung oder, wie dieses Jahr, wenn in Altdorf gespielt wird. Es ist ein äusserst freundschaftliches Verhältnis zwischen unserem Vorstand und demjenigen in Altdorf, geprägt von sehr viel gegenseitigem Respekt.

Welches ist eigentlich Ihre Lieblingsszene in Schillers «Tell»?

Allenbach: Ich habe als Arnold von Melchtal angefangen. Die Drei-Männer-Szene ist für mich einer der schauspielerischen Höhepunkte. Bei der diesjährigen Inszenierung ist für mich aber auch die Parricida-Szene von Bedeutung. Die Auseinandersetzung zwischen Tell und dem Kaisermörder Parricida geht wirklich unter die Haut.

Welche Erlebnisse verbinden Sie mit dem Kanton Uri?

Allenbach: Ich habe einen grossen Teil meiner Militärzeit im Kanton Uri verbracht und verbinde damit nur positive Erinnerungen mit unzähligen Erlebnissen in der faszinierenden Urner Bergkulisse. Im Sommer bin ich auf dem Urnersee beim Windsurfen anzutreffen. Im Winter war ich zu meiner Zeit als aktiver Snowboarder in Andermatt oder Hospental unterwegs. Mir sind diese Gegenden fast so vertraut wie meine Heimat, das Berner Oberland.

Sie sind auch als Comedian in der Schweiz unterwegs. Was treibt Sie an?

Allenbach: Meine Comedy-Figur Hans Otto von Allmen erfüllt zwar optisch das Bild des typischen Berglers. Doch er ist in Tat und Wahrheit einer mit grosser Weitsicht, einer spitzen Zunge und einer gesunden Portion Zynismus. Im Berner Oberland wie in Uri bekommt man es immer wieder mit dem Vorurteil zu tun, dass Bergler rückständig seien. Dem will ich mit meiner Figur denn auch ganz klar entgegenhalten