Uri von aussen gesehen

Folgende Porträts sind in der
Neuen Urner Zeitung erschienen:

Dieter Ringli

«Spannendes wird ausprobiert»

Dieter Ringli kennt die Geschichte der Urner Volksmusik. Er sagt, was er von den Altdorfer Musikfestivals und vom Lied «Zoogän am Boogä» hält.

Helen Busslinger-Simmen

Dieter Ringli, welche Urner Volkstänze waren früher beliebt?

Dieter Ringli: In Uri waren vor allem Polka, Schottisch, Ländler und Walzer gefragt. Daneben waren aber auch die Mazurka und der Galopp sehr beliebt – sie sind heute von der Tanzfläche verschwunden. Wir reden hier vom ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert, weiter zurück ist die Quellenlage sehr dürftig. In den überlieferten Notensammlungen finden wir auch Hopser, deutsche Märsche oder Rheinländer Polkas. Uri war als Durchreisekanton immer stärkeren Fremdeinflüssen ausgesetzt als die abgeschiedenen Täler in Schwyz, Ob- und Nidwalden. In den Dreissigerjahren kam dann noch der Ländlerfox als Schweizer Antwort auf den aufkommenden Jazz hinzu.

Welche Instrumente kamen ursprünglich zum Einsatz?

Ringli: Ursprünglich spielten die Tanzmusik-Ensembles in verschiedenen Besetzungen mit Klarinette, Blech- und Streichinstrumenten. Als ideale Besetzung galten Klarinette, Trompete, zwei Geigen und Kontrabass. Aber auch Blechbesetzungen spielten zum Tanz auf.

Die Urner Volksmusik hat sich geändert. Welche Einflüsse sind prägend?

Ringli: Historisch gesehen war das Aufkommen der Handorgel – das Schwyzerörgeli und später zunehmend das Akkordeon – um 1900 die grösste Veränderung. Damit verschwanden die Geigen und Blechblasinstrumente. Die Handorgel war wirtschaftlich interessant, weil ein Handorgelspieler zwei bis drei Bläser und Streicher ersetzen kann. Die Handorgel kam beim Publikum gut an, weil sie keine Intonationsprobleme hat und viel Klang produziert. Das Instrument hat nicht nur die Klangfarbe der Ensembles deutlich verändert, sondern auch zu einem stilistischen Wandel geführt. Das heisst: schnellere Tempi und akzen­tuierte Rhythmik in der Begleitung.

Wenn bei einem Chorkonzert die Sänger ein Urner Volkslied zum Besten geben, wird die Stimmung blitzschnell fröhlich. Woran liegt das?

Ringli: Einerseits liegt das daran, dass die Sängerinnen und Sänger diese Lieder gern singen. Diese Freude überträgt sich aufs Publikum. Andererseits kennt das Publikum die Lieder und reagiert auf bekannte und vertraute Stücke meist positiver als auf unbekannte oder ungewohnte.

Was machten den Charme und die Bekanntheit der Lieder des Urners Albert Jütz aus?

Ringli: «Zoogän am Boogä» ist ein Lied, das sich etabliert hat. Es ist eingängig und leicht singbar, aber trotzdem abwechslungsreich. Vom Text her ist es unterhaltsam und witzig und funktioniert von der rhythmischen Aufteilung der Silben bestens. Die andern Jütz-Kompositionen sind ausserhalb des Kantons Uri unbekannt geblieben. «Zoogän am Boogä» ist im Kanton Uri und in der übrigen Schweiz Anfang der Dreissigerjahre bekannt geworden, und zwar durch die Veröffentlichung auf Schallplatte – es war ein Schweizer Hit. Im Kanton Bern wird zur Melodie ein anderer Text gesungen: «Wenn i numä wüsst wo s’Vogellisi wär.» Zunehmend wurde aber die Urner Volksmusik anders, jazziger, bislang fremde Instrumente kamen dazu.

Was sagen Sie zu diesem Wandel?

Ringli: Der Jazz beeinflusst die Schweizer Volksmusik seit seinem Aufkommen in den Zwanzigerjahren mit Ländlerfox und Sopransaxofon. Die Einflüsse stammen vor allem aus Dixieland; spätere Stile wie Bebop oder Cool Jazz haben kaum Spuren hinterlassen. Polka, Schottisch und Mazurka sind genauso wenig Schweizer Erfindungen wie die Handorgel. Viele dieser Einflüsse verschwinden wieder. Manches entwickelt aber eine regionaltypische Eigenart und findet so Eingang in die Tradition, wie das ­Schwyzerörgeli.

Wie lautet Ihr Urteil über das Altdorfer Musikfestival Alpentöne?

Ringli: Alpentöne ist ein wunderbares Festival, das ich nur gerade im ersten Jahr verpasst habe. Es ist aber kein Volksmusikfestival. Es geht dort mehr um Experimente, die mit der Musik des Alpenraums in Verbindung stehen. Da wird viel Spannendes ausprobiert und Neues aus den umliegenden Alpenländern gezeigt. Wer offen ist für Überraschungen, kommt immer auf seine Kosten. Dass dabei nicht alles gleichermassen überzeugt, liegt in der Natur der Sache: Experimente können immer scheitern. Wer eher der traditionellen Volksmusik zugetan ist, aber auch einmal andere Varianten davon hören möchte, dem ist das in den Zwischenjahren stattfindende, nicht minder attraktive Volksmusikfestival Altdorf zu empfehlen.